Garantenstellung des Lehrpersonals - wenn Wegschauen zur Straftat wird
Die Garantenstellung ist ein Begriff, der vielen Lehrkräften an Schulen unbekannt ist. Doch dahinter verbirgt sich eine wichtige gesetzliche Verpflichtung, die sich aus
a) der gesetzlichen oder vertraglichen Stellung als Lehrer - sowohl verbeamtet als auch angestellt und
b) dem besonderen Vertrauensverhältnis seitens der Eltern und Schüler ergibt.
Eltern, die ihre Kinder in einer Schule anmelden, müssen sich darauf verlassen können, dass die Kinder dort ebenso gut aufgehoben und betreut werden, wie das im Elternhaus der Fall wäre.
Die gesetzliche Verpflichtung hierzu findet sich in §13 Strafgesetzbuch (StGB). Dort steht:
§ 13 StGB - Begehen durch Unterlassen
(1) Wer es unterlässt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, ist nach diesem Gesetz nur dann strafbar, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, dass der Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht.
(2) …
Was bedeutet das?
Das klingt zunächst kompliziert, daher hier ein paar Erläuterungen dazu: Bei dem §13 StGB handelt es sich um ein sogenanntes „unechtes Unterlassungsdelikt“.
Jedermann kennt das echte Unterlassungsdelikt: Unterlassene Hilfeleistung (§323c StGB). Hierbei handelt es sich um eine Verpflichtung für jedermann zur Hilfeleistung bei Unfällen oder „gemeiner Gefahr“, wenn dies erforderlich und den Umständen nach zuzumuten ist.
Die Garantenstellung nach §13 StGB macht jedoch aus jedem Straftatbestand ein mögliches unechtes Unterlassungsdelikt, wenn eine Garantenstellung vorliegt.
Eine Garantenstellung kann sich aus einem Gesetz, einem Vertrag oder einem besonderen Vertrauensverhältnis ergeben.
Hier kommen zum Beispiel Eltern oder Eheleute in Betracht, Polizeibeamte, Feuerwehrleute, Ärzte, Hebammen und eben auch Lehrkräfte - entweder verbeamtet per Gesetz oder als angestellte Lehrer per Vertrag.
Was jedoch bedeutet diese Norm für die Lehrkraft? - Ein Beispiel
Deutlich wird dies, wenn wir ein Beispiel aus dem häuslichen Alltag wählen: Eltern eines neugeborenen Kindes legen dies in sein Bett und verlassen die Wohnung. Als sie Tage später wieder nach dem Säugling schauen, ist dieser verstorben.
Die Eltern wären hier strafbar nach §212 StBG (Totschlag) in Verbindung mit § 13 StGB: Totschlag durch Unterlassen. Anders als bei der unterlassenen Hilfeleistung kommt den Eltern hier durch die Garantenstellung eine besondere Verpflichtung zu: den Säugling zu füttern, zu baden und auch sonst alles für seine seelische und körperliche Gesundheit zu besorgen.
Der Tod des Säuglings - hier der tatbestandliche „Erfolg“ des §212 StGB (Totschlag) - hätte durch die Eltern verhindert werden müssen, indem sie sich adäquat um ihn gekümmert hätten. Das Nicht-Versorgen, also das tatbestandliche Unterlassen, kam hier einem aktiven Tun gleich.
Die Strafandrohung liegt bei Unterlassener Hilfeleistung bei Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe. Bei Totschlag (durch Unterlassen) liegt die Strafandrohung bei mindestens 5 Jahren Freiheitsentzug!
Übertragen auf den Schulalltag heißt das, dass Lehrer für das Wohlergehen ihrer schutzbefohlenen Schülerinnen und Schüler Sorge zu tragen haben. Das kann z.B. bedeuten, im Fall einer Schlägerei dazwischen zu gehen, auch wenn dadurch eigene körperliche Schäden zu befürchten sind.
Hier liegt auch ein Unterschied zur unterlassenen Hilfeleistung: im Sinne der unterlassenen Hilfeleistung nach §323c StGB würde es ausreichen, beispielsweise die Polizei anzurufen oder den Rettungsdienst. Schäden für die eigene Gesundheit müssen nicht in Kauf genommen werden. Bei Vorliegen einer Garantenstellung trifft dies nicht zu. . In einem angepassten Rahmen müssen auch eigene Beeinträchtigungen hingenommen werden. Je nach Ausbildungs- und Trainingsstand variiert diese Grenze.
So wird zum Beispiel von einem Polizeibeamten durchaus erwartet, in einer Amoksituation in einer Schule kaum kalkulierbare Risiken für das eigene Leben einzugehen, um den Täter an der Fortsetzung seiner Tat zu hindern. Beim Lehrpersonal wird hingegen nicht erwartet, „in den sicheren Tod“ zu gehen. So muss sich die Lehrkraft in einer Messerstecherei unter Schülern also nicht in Lebensgefahr bringen und dazwischen gehen. Bei einer Prügelei sieht das hingegen ganz anders aus.
Wann beginnt und endet die Garantenstellung und auf welchen räumlichen Rahmen erstreckt sie sich?
Oft taucht in unseren Schulungen auch die Frage auf, wann die Garantenstellung beginnt und endet und auf welchen räumlichen Rahmen sie sich erstreckt.
Muss die Lehrkraft auch eingreifen, wenn ihre Schüler sich nachmittags auf dem Marktplatz prügeln? Die Antwort ist nein. Die Garantenstellung erstreckt sich auf den Schulzeitraum, also etwa eine halbe Stunde vor Schulbeginn bis etwa 15 Minuten danach. Auch räumlich beschränkt sich die Garantenstellung im Regelfall auf das Schulgelände - außer natürlich im Rahmen von Ausflügen und Klassenfahrten.
Ein besonderer Fall ist es, wenn beispielsweise bekannt wird, dass auf dem angrenzenden Gelände der Schule während des Schulbetriebes immer wieder mit Drogen gedealt wird oder es zu anderweitigen Straftaten wie z.B. verabredeten Prügeleien o.ä. kommt.
Die Frage, die dann seitens der Gerichte gestellt wird ist, ob die Schule im Vorfeld Kenntnis von der Sachlage hatte und sich entsprechend darauf vorbereiten konnte (und musste). Ist das Wäldchen hinter der Schule ein bekannter Drogenumschlagplatz, muss die Schule Sorge tragen, dass Schüler während der Schulzeit sich nicht dorthin begeben oder aufhalten, z.B. im Rahmen eines entsprechenden Aufsichtskonzeptes.
Nach der Schulzeit erlischt diese Verpflichtung.
Man kann als „Faustformel“ also davon ausgehen, dass die Lehrer immer dann eine Garantenstellung innehaben, wenn die Eltern sie aus ihrer Obhut in die Obhut der Schule geben, bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Eltern die Obhut wieder übernehmen.
Die Garantenstellung erstreckt sich übrigens nicht nur auf den Schutz der Schülerin oder des Schülers. Der Garant hat auch dafür Sorge zu tragen, dass von den Schülern selbst keine Gefahr ausgeht, beispielsweise durch Sachbeschädigungen.
Die Rechtsprechung über Vorgänge im Zusammenhang mit der Aufsichtspflicht ist vielschichtig und auf den jeweiligen Fall bezogen. Allgemein kann gesagt werden, dass von den Gerichten im Nachhinein geprüft wird, ob
- die Gefahrenquelle erkannt wurde,
- Regeln festgelegt wurden,
- die Einhaltung der Regeln kontrolliert wurde und
- gegebenenfalls die Nichteinhaltung sanktioniert beziehungsweise dies glaubhaft angekündigt wurde.
Ein Wegsehen darf es nicht geben!
Gewaltprävention im Schulalltag
In der Schulung lernen Sie die rechtlichen Grundlagen zu Notwehr / Nothilfe und Garantenstellung, bezogen auf praktische Beispiele aus dem Schulalltag. Dem schließt sich ein kurzer Part zu Waffen in der Schule an. Welche Waffen sind verboten? Darf man den Tornister eines Schülers gegen seinen Willen durchsuchen? Sie erfahren auch praktikable Tipps zur Umsetzung in der Schulordnung, die den Umgang mit dieser Problematik im schulischen Alltag deutlich erleichtern und vereinfachen. Im Anschluss erfahren Sie wichtige Optimierungen zur Berücksichtigung der Garantenstellung. Aberundet wird das Ganze durch praktische Übungen zum Umgang mit aggressiven Schülern und Schülergruppen.